Wie ich einmal Spaß in einer Kunstausstellung hatte

Der dritte Artikel in meiner „Erinnerungen„-Serie müsste eigentlich einen viel längeren Titel haben, der zwar aussagekräftiger gewesen wäre, aber nicht in irgendein Layout gepasst hätte: „Wie ich mich einmal während einer Kunstausstellung um zwei Noten im Fach Informatik verschlechtert habe“

Wir hatten damals™ Kunstunterricht bei einem, der eigentlich gar kein Lehrer war. Der hatte Kunst auf Diplom studiert und über irgendwelche Irrungen und Wirrungen war er zu seinem Lehrerpöstchen gekommen. Dementsprechend war auch sein Unterricht, wollnmalsagen, eher unstrukturiert. Kleines Beispiel: Kurz vor Zeugnisausgabe, die anderen Lehrer hatten die Noten schon vor Wochen eingetragen, kam er mal völlig abgehetzt in den Kunstraum, legte einen Videofilm ein, den er bei arte aufgenommen hatte und sagte: „Ich muss noch schnell die Noten eintragen, guckt Euch einfach den Film hier an, da geht es um Hände und deren Umsetzung in der Kunst. Der dauert 40 Minuten, wenn der Film zu Ende ist, könnt Ihr gehen.“

So weit, so einleuchtend. Selbstredend haben wir nach zwei Minuten den gesamten Film vorgespult, damit nicht auffällt, dass wir früher gehen. Ach ja, nach dem Film war übrigens ein dreckeliger kleiner Pro Sieben-Porno auf der Kassette, aber Schwanz Schwamm drüber.

Die eigentliche Geschichte ist ja mal wieder eine ganz andere: Wir hatten im nächsten Halbjahr unter anderem ein Projekt namens „Fliegzeuge“, wir sollten also was bauen, das so aussieht als könne es fliegen. Ausdrücklich aber keine Flugzeuge, sondern etwas anderes. Was? Völlig egal, Hauptsache es sieht aus als könne es fliegen.

Wir werkelten und machten und taten, der feine Herr Künstler Lehrer war geradenach entzückt von unseren Fliegzeugen und regte an, die Dinger auszustellen. Ein entsprechender Raum war schnell gefunden und mit den Flugzeugen dekoriert, als ihm ein weiterer Geistesblitz in die Knochen fuhr wie ein übermotivierter Eishockeyspieler es gelegentlich bei seinen Gegnern tut: Die Ausstellung nur in den Pausen offen zu halten sei ja völlig sinnlos, schließlich brauche man mitunter viel mehr Zeit, um die Kunst auf sich wirken zu lassen und gerade bei 20 Exponaten – er würde also gerne dafür sorgen, dass die Dinger auch während der restlichen Unterrichtszeit der Öffentlichkeit zugänglich blieben, ob das in unserem Sinne sei.

Nie um eine Gelegenheit verlegen eine Stunde blau zu machen Pflichtschuldig meldeten sich Melanie*, Katja*, Frank* und ich zur Stelle, so dass wir also zwei Schulstunden lang zu viert auf die Fliegzeuge aufpassten. Frank* bot sich sofort an, zum Restaurant zur Goldenen Möwe zu fahren, damit wir nicht vom Fleisch fielen, Katja* ging erstmal eine Rauchen und Melanie* und moi hatten Langeweile.

Das muss man sich mal vorstellen. Wir saßen also in einem alten Kunstraum, der mit Fliegzeugen dekoriert war, aus einem Kasettenrekorder dudelte Musik, die einem beim Chinesen schon fürchterlich auf den Piss geht und mampften gemütlich einige Hamburger. Nach der Mahlzeit sollte die vorsorglich aufgestellte Leinwand nebst Diaprojektor noch eine Rolle spielen.

Da Katja ohnehin gerade wieder zurück war, schalteten wir den Projektor ein und sahen uns die Bilder von der letzten documenta an. Aufgrund fortgesetzter Langeweile begann ich kurze Zeit später, die mir völlig unbekannten Bilder zu kommentieren: Ich trat an die Leinwand, fuchtelte mit den Armen und schwadronierte ausführlich über die einzelnen Bilder, Installationen und – kein Scheiß – Treppenhäuser, die natürlich auch zu Kunstwerken wurden. In meiner Interpretation.

Kurzum: Wir hatten einen Mordsspaß, die anderen bogen sich vor Lachen und mir alten Rampensau fallen dann ja gerade die tollsten Sachen ein. Irgendwann wurde das Lachen zu einem verschämten Kichern, einige Räusperer waren dabei und da ich mit dem Rücken zum Publikum stand, dachte ich schon man könne mich nicht recht verstehen.

Während ich mich, munter weiter über die Schaffenskrise des Aktionskünstlers Camillo T. referierend, umdrehte bemerkte ich relativ schnell, dass das Publikum sich vermehrt hatte: Mein Informatiklehrer Herr Hirtenbeck* saß mit hochinteressierter Miene auf einem der wackeligen Stühle.

Ein Rückzieher war ausgeschlossen, the show must go on, da gab es kein Vertun.

Ich palaverte ein wenig über blaue Phasen, seine Abkehr von der Ölmalerei hin zum Schweineblut, was er aber auch sein gelassen habe um sich dann eher – Zwischenruf.

Völlig verdutzt hielt ich inne und fragte gewohnt eloquent nach: „Hm?“

Katja*, die blöde Schlampe, bat mich aufgrund des erhöhten Aufkommens an Fünftklässlern darum, für ein wenig Ruhe zu sorgen, denn sie könne mich nur sehr schlecht verstehen. In der wilden Hoffnung es jetzt um Himmels Willen nicht noch schlimmer machen zu wollen, murmelte ich etwas von „Die gehen gleich wieder, ist doch ohnehin nur eine kleine Pause“ und wollte gerade wieder ansetzen, als Herr Hirtenbeck* sich schnaufend erhob und die Kinder zurecht wies. Sie sollten doch jetzt bitte mal etwas leiser sein, hier hielte schließlich jemand einen Vortrag.

Offenen Mundes sah ich ihm dabei zu, wie er seinen massigen Körper wieder auf den viel zu kleinen Stuhl bugsierte, bedankte mich artig, sah Katja* aus dem Augenwinkel still lachend von einem dieser Stühle herunterrutschen und bat um das nächste Dia.

In was hatte ich mich da nur hineinmanövriert, fragte ich mich still und beschloss, nie und nimmer „irgendwas mit Medien“ machen zu wollen.

Das nächste Bild war ein schierer Quell an Inspiration: Völlig willkürlich auf Zeltplane verteilte Ölfarbe in drölf verschiedenen Farben, wobei ein riesenhafter blauer Klecks das Bild dominierte: „Aha, das ist es ja, ich sprach ja vorhin schon mal kurz von der blauen Phase des Camillo T., sie müssen sich das so vorstellen, er hatte zu der Zeit, etwa in den späten 60er Jahren eine ganz harte Schaffenskrise, die hauptsächlich durch den Tod seiner damaligen Ehefrau ausgelöst wurde. Und das verarbeitet er in diesem Werk, das übrigens ‚Beerdigung auf einem Sonnenblumenfeld‘ heißt, ganz fantastisch, wie ich finde.“

Wieder ein Zwischenruf.

Und während ich mich umdrehe, höre ich meinen Kunstlehrer sagen „Also erstmal ist das Dia falsch rum und dann ist das von einer asiatischen Malerin, um genau zu sein, von einer indischen Elefantenkuh, das habe ich im Zoo fotografiert.“ Und dann stupste er Herrn Hirtenbeck*der sich meinen Vortrag ja auch schon eine gute halbe Stunde angehört hatte, völlig unnötig mit dieser vertraulichen „Aber-Du-hast-den-Witz-hier-doch-auch-verstanden-oder“-Geste an, und kicherte: „Aber seine Interpretation ist ja auch ganz gut, hm?“.

Der so angesprochene verließ daraufhin mit hochrotem Kopf den Raum, kritisierte forthin all meinen Programmcode im Informatikunterricht als völligen Schund und ich schloss den Kurs in diesem Jahr mit einer knappen 4- ab. Immerhin gab’s für den Vortrag noch ein Extra-Pünktchen in Kunst.

* Name geändert.