Locationbased Services und die Zensurschere im Kopf

Dank Twitter wird das Internet nun hyperlokal: Während die Lokalzeitung bestenfalls aus einem Stadtteil berichtet, kann ich mit Twitter die neuesten Nachrichten aus meiner Straße oder sogar nur von einer einzelnen Veranstaltung in die Welt setzen. Das Relevanzkriterium, dem eine Lokalzeitung immer unterliegt, mal außen vor gelassen, hat Twitter damit einen Riesenvorteil. Andererseits erwächst aus großer Macht eben auch große Verantwortung, denn nur weil ich jederzeit von überall berichten KANN, muss ich es nicht auch zwingend tun.

Ich denke dabei an die Location Based-Services, von denen Web-Evagelisten schon seit ca. zwei Jahren als das nächste große Ding noch vor dem semantischen Web sprechen. Seit einiger Zeit möchte Twitter von uns wissen, wo wir sind. In den Einstellungen zum Twitterprofil kann ich festlegen, ob ich meinem Twitterclient erlauben darf, meine Tweets mit einem Geotag zu versehen. Nicht selektiv, sondern immer. Hieße auch: Wenn ich unterwegs twittere holt sich Gravity mit dem GPS-Modul meines Telefons meine genaue Position und veröffentlicht die gleich mit. Bei jedem Tweet. Verschwörungstheorie: Das BKA kriegt feuchte Augen, weil man nicht mehr umständlich eine Handyortung beauftragen muss, um ein Bewegungsprofil zu erstellen.

Warum aber will Twitter das von uns wissen? Einerseits, weil das Teilen der individuellen Position ein Trend in 2010 ist, andererseits aber sicher auch, weil Twitter sukzessive die „Local Trends“ für alle Länder freizuschalten, in denen Twitter genutzt wird. Bereits jetzt kann man sich die Trending Topics, also die meistgenutzten Begriffe, einiger amerikanischer Großstädte anzeigen lassen und ist somit nicht mehr auf die Trending Topics der gesamten USA angewiesen.

Das ist nur ein Teil des Puzzles. Allerdings ein ziemlich wichtiges Teil, denn an dem Tag, an dem der ortsbezogene Tweet erfunden wurde, hat Twitter deutlich gemacht, wo die Reise hingeht: Nämlich in die hyperlokale Nische, die Zeitung, Radio und Fernsehen nur sehr begrenzt abdecken können. Was wir gerade beobachten können ist die Entwicklung eines Geschäftsmodells für Twitter. Ich möchte jetzt nicht mutmaßen, wie die konkrete Umsetzung aussehen könnte. Aber der Trend ist meines Erachtens da und da entwickelt sich etwas.

Wie Mashable schreibt, hat Twitter eine Firma namens Mixer Labs gekauft. Die haben die GeoAPI entwickelt, die in der Lage ist, aus der exakten Position mit Längen- und Breitengrad einen Ort zu identifizieren. Beispielsweise ein Geschäft, einen Club oder mein Fitness-Studio. Damit festigt Twitter seine Position in diesem Gebiet und sichert sich das Wissen, die Infrastruktur und die Technologie, um geobasierte Tweets nutzbar zu machen.

Gucken wir uns nun andere Dienste an, die auf Geo-Informationen aufbauen. Drei fallen mir auf Anhieb ein: Gowalla, Foursquare und BriteKite. Tweets wie dieser zeigen sehr deutlich, wie das System funktioniert: Kurze Nachricht, Ortsangabe mit Hashtag und dann der Link zu einer Karte, auf der nicht nur ersichtlich ist, wo man sich befindet, sondern auch wer noch in der Nähe ist bzw. war.

Warum sollte ich diese Information mit meinen Mitmenschen teilen. Vom Social Media-Stadpunkt aus betrachtet mag es vordergründig darum gehen, durch das Teilen dieser speziellen Information neue Leute kennen zu lernen oder Bekannte zu treffen. „Ach Blödsinn, Bernd ist auch da? Und er hat Klaus mitgebracht? Dann können wir uns ja treffen!“ ist der Gedanke.

Das ist alles gut und schön, aber es hat auch Nachteile. Erstens vergisst das Netz nichts, zweitens kann prinzipiell jeder mitlesen und drittens sprechen wir bei Followern und den in sozialen Netzwerken so euphemistisch als „Freunde“ bezeichneten Menschen, mit denen man so verbunden ist, ganz oft von Leuten, die man nur flüchtig kennt und unter Umständen nie getroffen hat. Will ich, dass jemand, den ich gerade in einer Kneipe kennengelernt habe, jederzeit weiß wo ich bin?

Offensichtlich gibt es eine Menge Menschen auch in meinem Social Media-Umfeld, denen entweder nicht klar ist, was sie da tun oder die einfach nicht darüber nachdenken. Um diesen Leichtsinn zumindest ein klein wenig einzudämmen, gibt es nun die Seite pleaserobme.com, auf der die Aufenthaltsorte etlicher unbedarfter Nutzer von Gowalla & Co. zusammengefasst werden.

Tatsächlich gibt es bereits mindestens einen dokumentierten Fall, in dem jemand ausgeraubt wurde, weil er bei Twitter schrieb, dass er und seine Familie die nächsten paar Tage nicht zu Hause sein würden. Und nun warnen die ersten Zeitungen, wie z. B. der britische Telegraph, dass im Falle eines Einbruchs unter Umständen auch geprüft werden könnte, ob der jeweils geschädigte möglicherweise zu viele Informationen über seinen derzeitigen Aufenthaltsort preisgegeben hat. Demnach seien ähnlich wie bei Kettenrauchern erhöhte Versicherungsbeiträge für starke Nutzer der ortsbezogenen Twitterdienste denkbar.

Was ist nun die Konsequenz daraus?

Ich denke, es ist sehr schwer, immer zu verheimlichen, wo man gerade steckt. Ganz oft möchte man einfach schnell ein Foto posten oder es ist was lustiges auf der Arbeit passiert, das gepostet werden muss, oder oder oder. Das ist eine Gratwanderung, ohne Frage. Für mich persönlich ist die Nutzung von ortsbezogenen Daten – sei es dauerhaft und ohne mein Zutun durch eine Anwendung wie Gravity oder sei es ganz bewusst durch exzessive Foursquare-Nutzung – generell kein Thema. Dieser Mist kommt mir nicht ins Haus. Genausowenig, wie ich öffentlich verkünden würde, dass ich für drei Wochen das Land verlasse, weil ich mit dem Kajak durch Ostholstein wandern will. Denn abgesehen von den möglichen Konsequenzen, die jemand mit der nötigen kriminellen Energie ziehen könnte, gibt es eine Menge Informationen, die einfach niemanden etwas angehen.

Im Umkehrschluss will ich auch gar nicht ganz genau wissen, wer jetzt alles in der Kieler Uni-Bibliothek sitzt und lernt. Oder wann meine Follower vor der Zugfahrt von Kiel nach Hause noch mal schnell in die Bahnhofsbuchhandlung hüpfen. Oder welchen Zug sie jeden Morgen zur Arbeit nehmen. Mich ganz persönlich interessieren diese Dinge nicht.

Ich möchte niemandem vorschreiben, wie man Twitter und die angeschlossenen Dienste nutzen sollte und wie nicht, da halte ich mich gern an die 7 goldigen Twitterregeln aus dem Blog von @gillyberlin, ich zitiere:

1. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

2. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

3. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

4. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

5. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

6. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

7. Twitter ist dein Kommunikationskanal. Mach was du willst und lass dir auch von keinem A- oder B- oder C-Blogger/Twitterer vorschreiben, wie du zu twittern hast. Auch nicht von mir oder sonst wem.

Ich möchte einfach nur ein bisschen zum Nachdenken anregen. Und deutlich machen, dass ich die exzessive Nutzung von Diensten wie Gowalla, Foursuare & Co. für ziemlich beknackt halte.

Einen positiven Punkt gerade mit Blick auf die Vermarktungsstrategie von Twitter („hyperlokal“ ist das Stichwort!) gibt es dabei allerdings doch: Nämlich für Unternehmen. Firmen, die Twitter und Facebook für ihre PR nutzen und Kunden zu Followern machen wollen, sollten schnellstmöglich Foursquare-Venues für ihr Ladengeschäft und ihre Filialen anlegen und dafür sorgen, dass sie dort Bürgermeister bleiben. Das wäre nur konsequent.

3 comments on Locationbased Services und die Zensurschere im Kopf

  1. Jepp. Ich lasse ihnen allen ihren Spaß mit Gowalla und Co., weil es auch bestimmt Sachen von mir gibt, die andere Leute nerven. Sozusagen ein „Nerv-Ausgleich“. So wie ich die #dsds-Tweets „überlese“, müssen sich andere mit meinen #usfo-Tweets oder „Es schneit schon wieder“ herumärgern.
    Aber für mich selbst sind diese local-Dinger tatsächlich nix, weder zur Selbstnutzung, noch bei den anderen. Die sind einfach „im Internet“ und basta.

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